HEILIGE MUTTER DES PATRIARCHATS

Eine Kritik an Ammas Gender-Diskurs

Einer der grundlegenden Diskurse von Ammas Philosophie ist der über das Geschlecht, die Rolle der Frau und ihre Ermächtigung (Frauenempowerment)[1]. Sie hielt diese Rede anlässlich der Verleihung des Gandhi-King-Preises in Genf im Jahr 2002. Die zehnseitige Rede ist voller Widersprüche und scheint einem männlichen Gehirn entsprungen zu sein, das sich mit der Gender-Thematik nicht besonders gut auskennt. Werfen wir einen kurzen Blick in seine Logik. Der vollständige Artikel ist im Buch zu finden.

Amma lobt die angeborenen mütterlichen Qualitäten der Frauen, betont aber, dass es an den Frauen liegt, ihre mütterlichen Qualitäten zu verwirklichen, damit wir unseren Traum von Frieden und Harmonie verwirklichen können, denn Männer sind nicht verantwortlich genug. Sie räumt ein, dass Sitten und Gebräuche von den Männern erfunden wurden, um Frauen auszubeuten und zu unterjochen und sie auf die Rolle von Topfpflanzen zu beschränken. Daher seien Männer arrogant, egoistisch, herrschsüchtig und ungerecht gegenüber Frauen.

Was schlägt sie den Männern vor, um die Situation wieder ins Gleichgewicht zu bringen? Kurz gesagt, sie müssen ihre weiblichen Qualitäten erwecken, Frauen in ihrer Entwicklung fördern und mit ihnen in Familie und Gesellschaft zusammenarbeiten. Das ist alles. Und warum? Weil Männer durch ihre angeborenen Eigenschaften eingeschränkt sind, sich mit dem identifizieren, was sie unternehmen, nicht multitaskingfähig sind und ihr Berufs- und Privatleben nicht trennen können.

Im Vergleich dazu ist der Beitrag der Frauen zu einer besseren Welt eine lange Litanei von Qualitäten mit ihren jeweiligen Pflichten und Aufgaben, von denen im Folgenden eine Auswahl zusammengestellt wird: Frauen sind verantwortlich dafür, dass ihnen ein zu geringer Stellenwert eingeräumt wird, da sie zu viel Wert auf ihr Äußeres legen. Sie haben sowohl Mitgefühl als auch Stärke; sie sind in der Lage, Reflexion mit Aktion zu verbinden; während sie die gleichen Aufgaben wie Männer erfüllen können, kann ihre mütterliche Natur einen tieferen Wandel in der Gesellschaft bewirken. Sie können ein Gegengewicht zur aggressiven Natur der Männer bilden; obwohl sie die Grundlage unserer Existenz, die ersten Mentoren der Menschheit sind, ist es ihre Aufgabe, sich auf das zu konzentrieren, was sie der Gesellschaft geben können, und nicht auf das, was sie aus ihr herausholen können. Ihre Verantwortung für die Erziehung der Kinder ist von unschätzbarem Wert. Frauen haben nichts von irgend jemandem zu empfangen, sie haben eine Verpflichtung sich selbst und der Welt gegenüber. Frauen haben in der Gesellschaft eine größere Verantwortung als Männer. Die Welt kann nur gerettet werden, wenn die Frauen ihre grundlegende Natur wiederentdecken. Aber sie müssen auch die besten männlichen Eigenschaften integrieren, ohne sich [jedoch] an Freiheit anzuhaften.

Selbst als Mann hätte ich mich geschämt, eine solche Rede zu halten, solche Ansichten zu äußern. Aber sie stört sich nicht daran, denn sie verkörpert genau das Modell dieser pseudo-laudatorischen Erzählung, die die Zwangsjacke des Macho-Griffs auf die indische Gesellschaft bestätigt: Sie opfert sich auf, um die Menschheit zu umarmen und zu lieben, während sie ihren eigenen Schmerz, ihre Krankheit und ihr Unbehagen verleugnet.

Doch Insider wissen und erleben das Gegenstück zu der unhaltbaren Rolle, die sie sich selbst auferlegt: Tatsächlich reagiert sie im Privaten, hinter den Kulissen, gegenüber ihren Nächsten, vor allem Frauen, mit extremer Gewalt, Gleichgültigkeit und Verachtung. Der Mythos kann nur während der Stunden des öffentlichen Auftritts aufrechterhalten werden. Er explodiert, wenn sie sich in ihr Privatleben zurückzieht; je stärker der öffentliche Druck, desto heftiger die „Dekompression“.

Angesichts des erschreckenden Ausmaßes an patriarchalischen, stereotypen Gedanken über die Geschlechter in dieser Rede sieht es so aus, als ob sie von einem männlichen Ghostwriter geschrieben worden sein könnte, der nur wenig Ahnung von Frauen und Paardynamik hat. Diese Rede stellt die Frau als außergewöhnliche und unbesiegbare Mutter dar, die ihre bedingungslose Liebe verbreitet und sich unermüdlich aufopfert, damit der Mann, unterstützt und geliebt von seiner Frau/Mutter/Heiligen, seine Freiheit und Macht genießen kann.  Amma ist stolz darauf, den Mythos der jungfräulichen, liebenden, unermüdlichen Madonna zu verkörpern, aber wie wir alle wissen, sind Mythen nicht die Realität.

Mehr Details und Quellen im Buch.

Auszug aus Kapitel IV. 5. „Die heilige Mutter des Patriarchats“

[1] https://www.amritapuri.org/1957/02-motherhood.aum

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